Während sich die traditionellen US-Medien Ende Juni vor allem mit den Themen Immigration und Irak-Krieg beschäftigten, fokussierten sich populäre Websites mit dem Anspruch eines demokratischen Bürgerjournalismus vor allem auf ein Thema: Apples iPhone. Das ist das Ergebnis einer Studie des Pew Research Centers. Es versuchte herauszufinden, welche Themen Amateur-Journalisten vor allem interessieren, und verglich dazu an einigen Tagen die Inhalte von Reddit, Digg und Del.icio.us mit denen großer Tageszeitungen.
Auf das Konzept des citizen journalism werden in den USA große Hoffnungen gesetzt. Die Amateure sollen leisten, was den Profis – berufsblind oder gefangen in Interessenkonflikten – offenbar nicht mehr selbstverständlich gelingt: das Vermitteln von «unabhängigen, verlässlichen, genauen, ausführlichen und relevanten Informationen, die eine Demokratie benötigt». – Angesichts der Themenauswahl scheinen diese Hoffnungen nicht ganz aufzugehen.
Zum Originalartikel: NZZ, 26.9.2007: Journalismus ohne Journalisten
Auch der US-Medientheoretiker ist ein Verfechter des Bürger-Journalismus und der Mobiliserungsthese, derzufolge, Weblogs verstärkt die politische Meinungsbildung beeinflussen. Er erkennt in den sogenannten Smart Mobs, die via Internet entstanden sind, ein sozialrevolutionäres Potenzial. Die Theorie der «klugen Zusammenrottung» wird wesentlich von einem Ereignis des Jahres 2001 gestützt. Damals brachten riesige Demonstrationen den philippinischen Präsidenten Estrada zu Fall. Mobilisiert wurden die Proteste Hunderttausender via Internet und SMS.
Die Politikwissenschafter sind nicht einhellig der Meinung, dass über das Internet politikferne Schichten gewonnen werden könnten. Wenn dank dem Internet mehr Informationen über Politik und neue Zugangswege zur Verfügung stünden, heisse das nicht zwingend, dass sich mehr Menschen für Politik interessierten. Der Mobilisierungs-These steht die sogenannte Reinforcement-These entgegen. Danach verstärkt das Internet die bestehenden politischen Strukturen.
Immer häufiger gelinge es Schlüssel-Blogs, Themen zu lancieren oder vernachlässigte Themen zu beleben. Allerdings bedeutet dies nur, dass sich durch das Internet die Kommunikationswege geändert haben. Das heisst noch nicht, dass politikferne Personen sie beschreiten. Der gegenwärtige Erfolg des italienischen Komikers Beppe Grillo unterstreicht diese These. Die sensationell anmutenden Zahlen der von ihm über sein Weblog initiierten Proteste relativieren sich angesichts der Einschaltquoten, die seine Fernsehshows erreichen. Bevor die RAI Grillo verbannte, sahen ihn bis zu 20 Millionen Italiener.
Auf längere Zeit angelegte Studien der TU Ilmenau kommen zwar zum Ergebnis,
- dass Internet-Nutzer politisch aktiver sind als Nicht-Nutzer;
- zudem zeigte sich, dass das politische Interesse der Internet-Nutzer – entgegen vorherigen Annahmen – in allen Bildungsgruppen gleich verteilt ist.
- Doch ergab sich bei der differenzierten Betrachtung, dass die Vermutung, das Internet schaffe politisches Interesse, nicht zutraf. Tatsächlich waren die Politik-affinen Internet-User im Vergleich zu den Internet-Muffeln schon immer politisch aktiver.
Zum Original-Artikel: NZZ, 26.9.2007: Muffel bleiben Muffel
Über Beppe Grillo: Die Zeit, 19.1.2006: Heiliger Beppe
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